Freundschaft
Bertha is someone’s treasure.
Diesen Satz habe ich mir vor einigen Tagen aus einem TikTok in meine Notizen geschrieben, weil er mich so berührt hat. Es ging um einen adoptierten Hund, der sehr lange gewartet hat, bis die richtigen Menschen die Tür des Tierheims betraten und in Bertha das erkannt haben, was sie ist – ein Schatz. Der Satz hat mich berührt, weil auch ich jahrelang große Angst davor hatte, allein zu sein. Bis ich allein war.
Natürlich war und bin ich nicht völlig allein. Ich habe wundervolle Menschen in meinem Leben – aber deutlich weniger als früher. Heute bin ich oft und viel allein, doch die Qualität meiner Beziehungen hat sich verändert. Als ich jünger war, hatte ich oft das Gefühl, dass ich versagt hätte oder etwas falsch mit mir sei, wenn ich an Tagen wie meinem Geburtstag oder Silvester allein war. Und während ich das hier schreibe, steigen mir Tränen in die Augen, weil mir bewusst wird, wie tief dieses Gefühl lange in mir saß. Ich hatte wahnsinnige Angst davor, alt zu werden, zu vereinsamen, mich verlassen und allein zu fühlen. Doch dann ist genau das passiert, was das Universum in meinem Leben immer tut, wenn ich Angst vor etwas habe: Es konfrontiert mich damit, um mir zu zeigen, dass ich auch das überlebe – und daran wachse.
Früher hatte ich viele Freundschaften, die ich über Jahre intensiv gepflegt habe. Manche bestehen bis heute, aber ihre Qualität hat sich verändert – vor allem ab dem Moment, in dem ich so verwundbar war, dass lernen musste, mein Leben und meine Sensitivität radikal anders zu leben als zuvor. Wie fast alles in meinem Leben bis Mitte zwanzig trugen viele Beziehungen die Quintessenz, dass ich immer Verständnis für alles hatte, mich in andere hineinversetzte, besonders in Menschen, die mir nahe standen. Ich wollte es allen recht machen, dafür sorgen, dass es allen gut geht. Und es hat mich tatsächlich nie gestört. Ich habe meine Freunde geliebt, viele schöne Momente mit ihnen geteilt, und ich hege bis heute keinen Groll – auch wenn ich sie losgelassen habe.
Manchmal ist der Zeitpunkt gekommen, an dem sich zwei Wege trennen. Nicht, weil man den anderen nicht mehr wertschätzt, sondern weil es einfach nicht mehr passt.
Ich habe oft Trennungsgespräche mit Freunden geführt. Diese Gespräche haben mir oft genau das endgültig gezeigt, warum eine Freundschaft nicht mehr funktioniert. Es ist nie leicht, einen Menschen, den man liebt, gehen zu lassen – mir ging es nicht anders. Doch irgendwann kam der Punkt, an dem ich mich entscheiden musste: Will ich in einer Dynamik bleiben, in der ich immer wieder Verhalten tolerieren muss, das mich verletzt, obwohl ich es angesprochen habe? Oder wähle ich mich selbst und lasse den anderen in Liebe gehen?
Die Gründe, warum ich Freunde gehen ließ, waren verschieden. Ich konnte ihr Verhalten oft nachvollziehen, aber wenn es immer wieder Verletzungen ausgelöst hat, war es für mich nicht mehr der richtige Weg. Ich habe mich in meiner Schul-, Ausbildungs- und Studienzeit stark verändert. Mein Weg war nicht mehr passend für alle Menschen in meinem Umfeld. Ich bin viel tiefer in meine Seele gesprungen – und tue es noch – als viele andere es vielleicht je tun werden. Ich habe mich in vielen Momenten an meinen tiefsten Punken wieder gefunden, mitten in Depressionen, und war gezwungen, hinzusehen. Ich habe erkannt, dass ich nur heilen kann, wenn ich mehr für mich selbst einstehe. Mir wurde klar, wie viele meiner Freundschaften auf einem Ungleichgewicht beruhten: auf zu viel Rücksichtnahme, auf unterschiedlichen Werten oder auf gemeinsamer Zeit, die zwar schön, aber nicht tief war. Nicht jede Freundschaft muss tiefgründig sein, aber ich habe gemerkt, dass ich mittlerweile nur noch Resonanz mit Menschen spüre, die auch meine Seele verstehen, mit denen sich das Leben leichter anfühlt.
Ich habe gelernt, dass ich Dinge einfordern darf, wenn sie mir wichtig sind. Zum Beispiel das Respektieren gemeinsamer Zeit und meiner Bedürfnisse. Oft habe ich erlebt, dass Freundinnen, auch wenn wir uns selten sahen, nicht wirklich präsent waren. Sie telefonierten nebenbei oder haben andere Menschen eingeladen, die ich kaum kannte oder bei denen ich mich unwohl fühlte.
Und weil ich in den letzten Jahren mental durch so viele Transformationsprozesse gegangen bin, war ich irgendwann an einem Punkt, an dem ich nicht mehr einstecken konnte.
Ich brauchte Menschen, die meine Grenzen sehen und respektieren. Menschen, mit denen gemeinsame Zeit sich heilsam anfühlt, nicht wie ein ständiges Abtasten meiner Bedürfnisse und Grenzen. Menschen, denen ich wichtig genug bin, dass sie verstehen, wie ernst es mir ist, wenn ich meine Bedürfnisse kommuniziere.
Genau an diesem Punkt sind viele Freundschaften zerbrochen. Ich habe gelernt, dass meine Grenzen unverhandelbar sind. Kein Mensch sollte von dir verlangen, dein Wohlbefinden zu missachten und dazu gehören auch deine persönlichen Grenzen. Meine Freunde heute sind Menschen, bei denen ich mich öffnen kann. Menschen, die meine Sorgen ernst nehmen, denen mein Wohlbefinden am Herzen liegt, bei denen ich mich sicher fühle. Menschen, die mich sehen und meine Worte hören.
Mit der Zeit habe ich sehr viel beobachtet und in mich hinein gefühlt. Ich habe mich gefragt: Fühlt sich das noch richtig an? Und bei vielen meiner langjährigen Freunde lautete die Antwort: nein. Die Trennungen waren nicht leicht. Sie zogen sich oft über Wochen, Monate oder Jahre, in denen ich beobachtet, gesprochen und mich innerlich gelöst habe. Mir wurde einmal gesagt, ich würde ein Ultimatum stellen, als ich erklärte, dass ich die Freundschaft so nicht weiterführen möchte. Meine Entscheidung war zu diesem Zeitpunkt schon gefallen. Doch die andere Person hörte nur: „Verhalte dich so – oder ich bin weg.“ Das hat mir eigentlich nur sehr klar gezeigt, warum es nicht mehr funktioniert. Ich habe nie verlangt, dass jemand sich ändert. Ich habe um Rücksicht gebeten, erklärt, was mich verletzt, und gesagt, dass ich das so nicht mehr möchte.
Ich habe dann über Wochen, Monate und Jahre beobachtet, wie diese Menschen ihr Verhalten immer wieder wiederholten. Ihr gutes Recht – aber genauso ist es mein Recht, mich dem zu entziehen. Ich habe kommuniziert, was mich stört, erklärt, dass unsere Beziehung so nicht mehr funktioniert, und das Verhalten beobachtet. Und durch ihr unverändertes Verhalten habe ich erkannt, dass Veränderung entweder nicht möglich oder nicht gewollt war. Das ist in Ordnung – aber es hat Konsequenzen. Etwas, das man früher so nicht von mir kannte.
Eine Freundschaft sollte etwas Wunderschönes sein. Etwas, bei dem sich beide Menschen aufgehoben, wertgeschätzt und respektiert fühlen. Freundschaft sollte leicht sein, auch an schweren Tagen. Freunde sollten dich auffangen, und wenn es Konflikte gibt, sollte man sie gemeinsam lösen – bei einem Spaziergang, einer Tasse Tee und einem ehrlichen Gespräch.
Wenn aber einer von beiden ständig zurücksteckt oder sich in der Verbindung nicht mehr sicher, wohl oder geborgen fühlt, gibt es kein Anrecht auf Erhaltung – egal, wie lange man sich kennt. Ich muss nicht in einer Freundschaft bleiben, in der ich mich über lange Zeiträume nicht gesehen oder wertgeschätzt fühle.
Also nein, es ist kein Ultimatum, wenn ich sage: Das ist meine Grenze, und wenn du sie überschreitest, habe ich kein Interesse mehr an einer Freundschaft.
Es ist die warme Milch mit Honig, die ich mir selbst schenke – weil ich es mir wert bin, mich mit Menschen zu umgeben, denen wichtig ist, wie ich mich fühle. Menschen, die nicht erwarten, dass ich etwas in Kauf nehme, womit es mir schlecht geht. Du darfst bleiben, wie du bist, denn du hast jedes Recht, du selbst zu sein. Ich wollte dich nie verändern. Aber ich wollte mich auch nicht für dich verändern. Ich wollte nicht zurückstecken, nur um zu bleiben.
Denn ich habe gelernt: Lieber bin ich allein, als immer wieder das Gefühl zu haben, einsam zu sein – selbst wenn ich es objektiv nicht bin.
Unverstanden, egal wie viel ich rede. Ungehört.
Denn nach wie vor klafft in mir eine Wunde – die Erfahrung, dass meine Bedürfnisse nicht gehört werden. Die Angst, dass sie, egal wie oft ich sie ausspreche, niemals wirklich Berücksichtigung finden. Der erste Schritt zu meiner Heilung war, Freundschaft für mich neu zu definieren. Freundschaft ist nicht bedingungslos – und das muss sie auch nicht sein. Wir sind hier, um Wege zu finden, glücklich zu sein. Manchmal bedeutet das, Platz zu schaffen für die Menschen, die jetzt gerade richtig sind für dich und deine Reise. Denn das ist so viel besser, als an einem Ort zu bleiben, aus dem du längst herausgewachsen bist, umgeben von Menschen, die erwarten, dass du bleibst, auch wenn du dich dort nicht mehr wohlfühlst.
Because I am someone’s treasure, too.